UNSERE PHILOSOPHIE
Das Leben ist nicht viel mehr als ein Tag und eine Nacht. Es reicht schon, wenn man einen Tag menschenwürdig verlebt hat, und die Nacht darauf auch. Alles andere ist bloße Wiederholung dieses einen Tages und dieser einen Nacht, und ob es so hundert Jahre oder sechzig oder auch nur vierzig dauert, im Wesen bleibt es sich gleich.
Wir sagen: Als der Himmel die Zeit erschuf, hat er davon genug geschaffen. Das ist unsere Grundhaltung zum Leben. So meinen wir, wir hätten unendlich viel Zeit. Aber ihr wollt glauben, ihr hättet nicht genug davon. Kein Wunder, wenn die Leute einem unsichtbaren Ziel von der Geburt bis zum Tod nachjagen. Die ganze Lebenszeit ist verplant, verzettelt in Termine, und man hat vom eigentlichen Leben so wenig. Wir dagegen leben wenigstens für etwas Handfestes: für unsere Eltern, und die sollen geliebt, geachtet und versorgt werden. Dann haben wir unsere Berge, unsere Erde, unsere Gewässer, unseren Himmel, unseren Altai. Und wenn wir diesen einigermaßen sauber und ganz unseren Kindern weitergeben können, die Eltern immer geachtet, erfreut und sie dann bestattet haben, dann ist ziemlich alles getan. Das ist ein gutes Leben gewesen.
Und was heißt Altai?
Das kommt von ala, bunt, und dag, Berge. Bunte Berge also. Dies aber auf tuwa. Im Kasachischen und Kirgisischen heißt es Alatau. Der Altai ist eine der längsten Gebirgsketten überhaupt. Wir haben kein Wort für Gott. Der Spruch, den wir tagtäglich voller Inbrunst aussprechen, lautet: Ej baj Aldajm! Oh, mein reicher Altai!
Zitiert aus: Amélie Schenk/ Galsan Tschinag „Im Land der zornigen Winde. Geschichte und Geschichten der Tuwa-Nomaden aus der Mongolei", Frauenfeld 1997.
Der Altai stellt ein Naturschutzreservat dar, ist Weltkulturerbe. Und die Menschen, die dort streckenweise immer noch in urgesellschaftlichen Verhältnissen leben, haben eine tief verwurzelte Achtung vor der Schöpfung. Sie wissen die menschlichen Bedürfnisse mit dem Wohl der großen Natur in Gleichklang zu halten.